Zwischen Horoskopen und Hirnforschung

30 Nov. 2025 | Neurobullshit, Scientific Trainer Blog, Trainermythen

Warum Yvonne Behnkes Buch über Lernmythen Pflichtlektüre für alle ist, die mit Bildung Verantwortung tragen – und Haltung nicht für Luxus halten

„Ich bin halt ein visueller Lerntyp“ – dieser Satz fällt in Seminaren so zuverlässig wie das Flipchart umfällt. Nur: Er ist falsch. Und zwar gründlich.
Was in Trainingsräumen als sympathischer Bildungssnack durchgeht, ist in Wahrheit nichts anderes als ein hartnäckiger Mythos – charmant, eingängig, aber wissenschaftlich nicht haltbar.

Yvonne Konstanze Behnke hat mit ihrem Buch [Titel] einen überfälligen Kehraus veranstaltet. Sie räumt auf in der pädagogischen Rumpelkammer – ohne Schaum vor dem Mund, aber mit chirurgischer Präzision. Was sie betreibt, ist mehr als akademische Feinarbeit: Es ist eine notwendige intellektuelle Entrümpelung des Weiterbildungsmarkts.
Mit klarem Blick und ohne missionarischen Unterton seziert sie pseudo-wissenschaftliche Irrtümer, die sich in Seminarhäusern und PowerPoint-Slides ebenso hartnäckig halten wie Mythen in den Horoskopen der Brigitte. Wer sich bisher auf die 7-38-55-Regel, auf Konfuzius-Zitate oder den „Lerntypentest nach VARK“ verließ, darf sich hier auf eine sachliche, aber entschlossene Dekonstruktion gefasst machen.

Wissenschaft statt Wunschdenken

Behnkes Buch spricht eine klare Sprache: Lernen ist ein biopsychosozialer Prozess – dynamisch, kontextabhängig und alles andere als linear. Die Vorstellung, man könne Lernerfolge präzise berechnen („10.000 Stunden bis zur Meisterschaft“) oder in hübsche Prozentzahlen gießen („70% informell, 20% kollegial, 10% formal“), mag verführerisch sein – sie hält jedoch weder empirischer Überprüfung noch praktischer Erfahrung stand.

Behnke räumt mit diesen Zahlenspielereien auf, liefert historische und wissenschaftliche Einordnungen und zeigt, warum wir uns nicht auf schlichte Rezepte verlassen sollten, wenn es um so komplexe Phänomene wie menschliches Lernen geht.
Wer meine eigenen Arbeiten kennt – etwa zur Neurodidaktik, zur Bedeutung von Relevanz, Emotion und Kontext für gehirngerechtes Lernen oder zum Missbrauch neurowissenschaftlicher Sprache im Trainingsbusiness –, wird viele Parallelen entdecken. Behnkes Buch ist in gewisser Weise die aktualisierte Pflichtlektüre dazu: keine modische Gehirn-Verliebtheit, kein verkaufspsychologisches Blendwerk – sondern Transferfähigkeit im besten Sinne.

Die große Stärke: Haltung

Behnkes eigentliche Leistung liegt nicht nur in der Aufklärung, sondern in der Haltungsarbeit, die sie leistet. Sie warnt mit Nachdruck vor den allzu einfachen Wahrheiten, die mehr schaden als helfen. Ihre Botschaft: Lernen braucht Relevanz, Verständlichkeit, Verknüpfung – und vor allem ein ernstgemeintes Interesse am Menschen, nicht an seiner Kategorisierung.

Gerade in Zeiten, in denen „KI-generierte Lernpfade“ und „Gamification mit Dopaminfaktor“ als neue Heilsversprechen durch die Branche geistern, erinnert Behnke daran: Es gibt kein gutes Lernen ohne kritisches Denken. Und kein verantwortliches Training ohne evidenzbasierte Basis.

Fazit: Lesepflicht für alle, die es ernst meinen

Wer sich professionell mit Lernen beschäftigt, darf sich nicht hinter Mythen verschanzen. Behnkes Buch ist ein Weckruf – freundlich im Ton, entschieden in der Sache. Und damit genau das, was unsere Branche dringend braucht: weniger Folklore, mehr Fundierung.

Oder, um es in der Sprache des Seminars zu sagen:
Wer beim nächsten Mal die Lerntypenkarte zückt, sollte sich an die einfachste Regel erinnern –
Lernen beginnt da, wo Denken erlaubt ist.

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